Ausgehend vom Nordskokk Projekt von Lavangsnes Wunderkammer, bei dem es um die Kultivierung einer Topinambur Sorte geht, die den spezifischen Bedingungen dieses nordnorwegischen Standorts gewachsen ist, also trotz langer heller, aber insgesamt konstant kalter Phasen gedeihen kann, verfolgen wir im Rahmen unserer Residenz Überlegungen, die ebenso die verschiedenen Aspekte vom Hiersein, von Raum und Zeitlichkeit miteinbeziehen:
Die unmittelbare Nähe zum Fjord vor uns, zum Wald neben uns und zum Gebirge hinter uns, stellt nicht nur Wurzelgemüse, sondern auch uns vor ortsspezifische Fragen. Wie gehen wir mit einer kleinen Knolle um, die unterirdisch und unscheinbar wächst, die weder geangelt noch gejagt werden muss? Wir räuchern sie und wir geben ihr Salz. Wir benutzen erzählerisch das Motiv des Salzlecksteins und das des Räucherofens, beides traditionelle Landmarken, an denen Tier oder Mensch zusammenkommen. Wir verbinden sie, machen sie erlebbar. Mit Hilfe einer für diesen Zweck angefetigten Picknickkiste, einer exakten Nachbildung der Picknickbox, die der örtliche Jagdverein zwar nie in Gebrauch genommen hatte, die farblich moosgrün lackiert zwar gut getarnt, aber bedrohlich wie eine Munitionskiste wirkte. Unsere Replik lackierten wir pastellgelb und nahmen so Referenz zur Lackierung der Gemeinschaftsküche der alten Schule des Ortes und den Bogen, um die beiden Orte, Ausstellungsraum in der alten Schule und Skulpturenpark, miteinander zu verbinden. Im Rahmen unserer Ausstellung luden wir die Besucher*innen zu einem mehrgängigen Menü ein, das wir performativ für die Gäste partizipativ umsetzten. Am Räucherofen räucherten wir Jordskokk/ Nordskokk, also frisch geerntete, an der Wassertränke der Schafe gewaschene Topinamburknollen. Der Räucherofen bestand aus lose aufeinander geschichteten Steinen vom Fjordufer. Die geräucherten Knollen dienten als Einlage für die klare Gemüsebrühe, die durch das darein Tunken des Salzlecksteins gesalzen wurde und gemeinschaftlich in die alten Suppenteller der Schule verteilt wurde, die in der gelben Picknickbox von dort her zur Schafsweide transportiert wurden. Zusammen in einem performativen Walk, die Picknickkiste tragend, gingen wir in die Ausstellung in der alten Schule. Die runden Sauerteigbrote hingen als zweiter Gang von der Decke, eine alte typische Form der Aufbewahrung, dazu gab es Butter mit getrockneten Birkenpilzen, Bärwurz und Meersalz Als Hauptgang servierten wir Lachs aus dem Fjord vor der Tür, Mayonnaise mit Trü!eltang, Preiselbeermarmelade, sauer eingelegtem Topinambur in einem weichen Kardamombrötchen und Kartöffelchen. Das Dessert bestand aus Viili, einer Sauermilch, die auch in der norwegischen Mehrheitsgesellschaft weitesgehend unbekannt ist, aber besonders von älteren Sami geschätzt und privat weitergegeben wird. Dazu gab es klassisch Zimt und Zucker, außerdem Blaubeer- und Ebereschenbeermarmelade. Die wichtigsten, hier genannten Zutaten haben wir während unseres Residenzaufenthalts selbst gesammelt. Das Menü spiegelte sehr stark den Ort wieder, kulinarisch interpretiert auf eine Weise, die für die Besucher*innen geschmacklich völlig neue Erlebnisse bot, gleichzeitig bekannte Geschmacksnuancen reaktivierte und damit gemeinschaftliche und intime Momente erzeugte und Erinnerungen weckte.
Salzleckstein und Räucherofen verblieben im Anschluss an die Ausstellung dauerhaft (bis aufgegessen oder von der Umwelt beseitigt) im Lavangsnes Skulpturenpark bei den Schafen. Der andere Teil der Ausstellung befand sich in der alten Schule von Lavangsnes, fußläufig vom Skulpturenpark entfernt.




STEINSALT
Marie Donike & Johannes Specks
Mixed Media
Maße variabel

Ausstellungsansicht: STEINSALT, Lavangsnes Wunderkammer, Lavangsnes, Troms, 2024

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Johannes Specks