Realitäten imitieren




Johannes Specks sucht, findet, sammelt, bearbeitet, belebt, dokumentiert, lagert und archiviert Objekte und Materialien. Diese Reihenfolge variiert und auch die konkrete Vorgehensweise dabei passt sich den äußeren oder inneren Umständen an. Alles kann in diese Materialsammlung aufgenommen werden: Rohstoffe wie Holz und Wolle, Ideen, Fotos, Bücher, Lieder, Schnipsel, Melodien, Rezepte, Dateien, Gegenstände, Videos, Werkzeug, aber auch Räume, Orte und Erinnerungen. Das Leben dient als unerschöpfliche Quelle.

Die Transformation von Ansammlung zu Kunst kann beispielsweise in Medien wie Collage, Grafik, Installation oder Intervention erfolgen. Gezeigt wird sowohl im klassischen Ausstellungs-, als auch öffentlichem Raum, manchmal werden sich leerstehende Laden- geschäfte, verlassene Wohnungen oder die urbane, sowie natürliche Umwelt als Ausstellungsfläche angeeignet. Visuell gibt es keine Festlegung. Johannes Specks ist ein Suchender und ein Findender, seine Kunst fragt nach Zeitlichkeit und nach Brauchbarkeit, sie fragt nach dem Besonderen im Alltäglichen. Sie will Imagination durch Imitation. Sie erzeugt Emotion und verlangt Reaktion.



Sich Johannes Specks Arbeitsweise annähern.




Eine Metapher zur Veranschaulichung: Stellen Sie sich vor, dass Objekte und Materialien ihrer natürlichen Umgebung entnommen werden. Sie werden aus ihrer Umwelt entfernt, sie werden gebündelt und in eine Maschine geworfen, eine Art Wunschmaschine. Es rattert, es knarzt und knallt, es vergeht Zeit, es kann schnell gehen oder Jahre dauern, bis dann, irgendwann, diese Wunschmaschine Objekte und Materialen ausspuckt. Sie sind den Objekten und den Materialien, die hineingeworfen wurden, ähnlich, aber sie unterscheiden sich dennoch signifikant. Sie sind verändert, eine Transformation hat stattgefunden. Vielleicht ist das ausgespuckte Objekt seinem Kontext entnommen und irritiert auf diese Weise, vielleicht ist sogar weniger passiert und trotzdem kommt es merkwürdig da- her. Die Maschine hat die Materialsammlung verdaut und dabei manches entfernt und manches hinzuge- fügt, gemixt und gematcht. Zusammenhänge wurden verrückt, Erinnerungen und Gefühl hinzugefügt. Eine Anordnung wurde vorgenommen, Ordnung und ein künstlicher Kontext erzeugt. So ist etwas entstanden, das völlig neu ist, etwas Neues, aber etwas Vertrautes.

Johannes Specks Skulpturen, seine Installationen und Interventionen verfolgen ein Konzept. Seine sorgfältige Be- und Verarbeitung des Materials und seine fein- fühlige Interpretation des scheinbar Banalem, aber tief Menschlichem, erzeugen eine Stimmung, die den

Kern seines Werks ausmacht. Sie bedienen sich bekannter Gestalt und nutzen vertraute Formgebung, um Sehgewohnheiten zu irritieren und um Alltag zu dekonstruieren.



Die Betrachtenden rücken in den Fokus.




Es wird keine Reaktion vom Gegenüber verlangt oder gar abgewartet, dass sich jemand zu dem Gesehenen, zu dem Erlebten, zu dem Gehörten positioniert. Eine kurze Wahrnehmung der Kunst durch die Rezipierenden kann genügen. Auch Zufallsbegegnungen mit dem Kunstwerk sind durchaus erwünscht. Die Gewissheit darüber, dass das Kunstwerk übersehen wurde, reicht manchmal, um die Idee verstanden zu haben und Teil der Arbeit zu werden, ob gewollt oder ungewollt ob wissend oder unwissend, ob frei- willig oder unfreiwillig, es reicht. Es ist genug. Möglich ist auch, dass das Kunstwerk von seinem Gegenüber flüchtig bis intensiv beobachtet, eingeordnet, in einem inneren Prozess befragt wird. Es wird sich dem Kunstwerk gegenüber positioniert, es wird sich eine Meinung gebildet, es wird etwas aus dieser Begegnung (Mensch vis à vis Kunstwerk) mitgenommen, eine Reaktion hervorgerufen. Auch das ist gut. Alles kann, nichts muss. Die Mischung ist entscheidend. Johannes Specks konzeptueller Schaffensprozess findet in den Reaktionen des Publikums auf das Werk, den hervorgerufenen Erinnerungen und erzeugten Gefühlen seine Vervollkommnung.



︎ TEXT ︎:

MARIE DONIKE